Dem Fahrrad wird im Rahmen der Mobilitätswende ein großes Potenzial eingeräumt. Es ist klima-, sozial- und gesundheitsfreundlich. Es ist äußerst zugänglich, einfach zu nutzen und befindet sich doch im Herzen eines Kulturkampfes. Sich für das Rad auszusprechen, scheint immer auch als Kritik am Auto wahrgenommen zu werden, an Aufstiegsgeschichten und Individualverkehr.
Wirtschaftlich gesehen ist das ein Problem. Galt lange Zeit das sportive Segment als Treiber wirtschaftlicher Entwicklung, so sehen Branchenexperten (und zahlreiche Studien von Deloitte über T3) das große Potenzial vor allem im Alltagsverkehr. Für die Branche wäre diese Entwicklung ein Segen – würde es doch weniger um Verteilungskämpfe gehen, als um einen größeren Kuchen für alle. Der Red Ocean würde zumindest wieder etwas blauer werden. Doch wie schaffen wir das?
1.
Kooperation
Die einfachste Antwort in diesem Zusammenhang ist „gemeinsam“. Eine positive Transformationskommunikation für das Fahrrad wird nicht eine Brand allein stemmen können. Die Möglichkeiten sind in einem atomisierten Markt wie der Fahrradindustrie nicht vorhanden: Weder kapazitiv, noch budgetär.
Ein starker Zusammenschluss auf nationaler Ebene muss eine solche Kommunikation steuern – dafür braucht es einen Shift in den Aufgaben der Dachverbände, die Bereitschaft zur Kooperation auf breiter Ebene (denn am Ende müssten VSF, ADFC, Zukunft Fahrrad und ZIV zusammenarbeiten) und eine Aggregation von Budgets. Diese Kooperation könnte die Rahmenbedingungen für eine zielgerichtete Kommunikation in Bezug auf Kanäle, Stakeholder, Kapazität und Budget schaffen.
2.
Kommunikation zielgruppengerecht aufbauen
Menschen möchten eigentlich keine Kommunikation, die sich gegen ihre eigenen Vorstellungen richtet. Umso sensibler muss das Kommunizieren von Veränderungen angegangen werden. Eine generelle Botschaft für die gesamte Bevölkerung ist dabei nicht zielführend. SINUS-Milieus können ein Strukturelement für gelungene Transformationskommunikation sein.
Im Tourismus haben wir bei desire lines diese Struktur bereits erfolgreich auf Nachhaltigkeitskommunikation anwenden können. In diesem Fall zeigt sich, dass vor allem die Mittelschichtsmilieus positiv auf Themen regionaler Nachhaltigkeit ansprechen. Sie brauchen es spür- und greifbar – und gar nicht unbedingt mit der Begrifflichkeit aufgeladen. Das Konsum-Hedonistische Milieu bevorzugt konsumorientierte Nachhaltigkeit – also eine starke Produktbezogenheit, die auch für die Radbranche spannend ist.
Wichtig ist, dass die übergeordneten Themen gleichbleiben. Das Sicherheitsbedürfnis dominiert, dazu ein Gefühl von Gemeinschaft. Wo Mittelschichtsmilieus zum Beispiel emotional die Versicherung brauchen, dazuzugehören, nicht auszuscheren, sind Milieus der Neuorientierung eher am Richtigen, am Guten orientiert.
In Bezug auf Sicherheit geht es ebenfalls um ganz unterschiedliche Dimensionen: angefangen bei der eigenen körperlichen Unversehrtheit, dem Schutz vor Elementen, als auch dem Wunsch nach einem gefühlten Safe-Space, wie es das Auto bietet.
Dabei soll nicht unter den Tisch fallen, dass viele Bedenken aus der potenziellen Zielgruppe Infrastrukturthemen sind, die kaum kommunikativ gelöst werden können.
Die eigene Sicherheit, Abstellplätze, Fahrradstraßen und vieles mehr können wir nicht herbeireden. Das ist weiterhin Aufgabe einer starken politischen Kommunikation, die Hauptaufgabe der im ersten Punkt genannten Dachverbände ist.
3.
Ein neues Narrativ
Narrative sind nicht neu in der Kommunikation. Sie stehen über vielen Einzelgeschichten und geben Gruppen von Menschen eine Richtung. Die Autoindustrie als Rückgrat der deutschen Wirtschaft, das Auto als Symbol von Freiheit und Unabhängigkeit – das sind starke Narrative, die eine Fahrradindustrie gar nicht auszuhebeln versuchen sollte. Frank Wolf beschreibt es als Kampf gegen Windmühlen, wenn man sich zu plakativ gegen bestehende kulturell verankerte Narrative stellen möchte.
Es existieren nach ihm zwei Möglichkeiten der Einflussnahme. Es kann ein Gegennarrativ geschaffen werden oder auf die in der Zielgruppe verankerten Narrative aufgebaut werden.
Eindrucksvoll hat dies die Dresdner Agentur Oberüber Karger mit ihrer Wahl-Kampagne im aktuellen sächsischen Wahlkampf gezeigt. Mit #stabilbleiben versuchten sie, auf den Stolz der Sachsen auf die Errungenschaften ihres Bundeslandes und ein Ehrgefühl einzugehen – und ließen dabei jegliche politische und demokratieerziehende Elemente außen vor.
Im Radbereich könnte der Wunsch nach einem Safe-Space, nach Me-Time und starker Individualisierung eine Erzählung sein, die man für sich umdeutet. Auch die starke Fahrradindustrie und die breite Partizipation an deren Wohlstand eignen sich zur erfolgreichen Erzählung, was aktuell bereits aufgegriffen wird. Wichtig ist dabei das Narrativ als Nordstern – die Vision, auf die wir zusteuern möchten.
Das Fahrrad wurde in der Geschichte schon einmal mit Transformation, mit Freiheit und Aufbruch assoziiert – darauf können wir aufbauen, müssen es aber schaffen, Sicherheit und Stabilität ebenso zu implementieren.