Im letzten Beitrag haben wir uns mit der teils unsäglichen Kommunikation rund um die letzte Red Bull Rampage beschäftigt. Dabei wurde deutlich, dass die Branche eine große Verantwortung für die zugrunde liegende Kultur des Sports und des Lifestyles trägt – und somit für Zugänglichkeit, Diversität und Offenheit sorgen kann (und sollte).
Andererseits brachte der CEO von Tern Cycles, Joshua Hon, auf der letzten Eurobike die Kommunikation der Radbranche treffend auf den Punkt: „A guy in lycra doing something rad.“ Ja, diese Aussage ist verkürzt und überspitzt, doch das Raunen im Publikum zeigte, dass sie nicht ganz unbegründet war. Es ist wichtig, immer wieder den Finger in die Wunde zu legen. Noch spannender ist es jedoch, Kampagnen zu identifizieren, die als positive Inspiration dienen können.
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Shimano
Bild- & Storywelten
Im Bereich vielfältiger Bild- und Storywelten ist Shimano sicherlich Vorreiter unter den großen Marken der Branche. Schon seit längerem setzt das Unternehmen auf ethnische und körperliche Vielfalt sowie eine breite Palette an Konstellationen in seinen Bild- und Bewegtbildwelten. Neben dem Race- und Performancefokus, spezifischen Stories und Initiativen hat Shimano eine Bildsprache entwickelt, die Diversität ganz selbstverständlich und konsistent in die gesamte Kommunikation integriert. Abenteuer und Erlebnisse werden in den Vordergrund gestellt und Gemeinschaft sowie Zugänglichkeit Raum gegeben. Solche Bildwelten entstehen nicht zufällig, sondern sind das Ergebnis bewusster Entscheidungen und langwieriger Prozesse.
Trysil
Trailpark
Ein weiteres anschauliches Beispiel für eine solche Herangehensweise stammt aus dem touristischen Kontext: Der Trailpark Trysil entwickelte gezielt Bildwelten, in denen die Nutzenden fast ausschließlich Kinder oder Erwachsene mit Kindern waren. Dabei wurde auf spezifische Bike-Kleidung weitgehend verzichtet – abgesehen von Helm und Handschuhen trugen die dargestellten Personen lediglich Sportkleidung. Dies stellte eine bewusste Zugänglichkeit her, die sich konsistent durch das gesamte Produkt zog und sich letztlich auch in der Zusammensetzung der Nutzerschaft widerspiegelte.
komoot
Women's Rally
komoot hat dafür ein eigenes Event ins Leben gerufen. Der Navigationsspezialist nutzt seine Reichweite und die seiner Teamfahrerin Lael Wilcox dazu, um sowohl auf die Women’s Rally aufmerksam zu machen als auch ganz allgemein für Diversity und Zugänglichkeit im Radbereich zu werben. Komoot selbst schreibt dazu:
„Um die Verhältnisse geradezurücken und das Radfahren für mehr Frauen attraktiv zu machen, haben Lael Wilcox und komoot 2021 eine spezielle Rallye für Frauen, Transfrauen und nicht-binäre Personen ins Leben gerufen: Ohne den üblichen Druck gemischter Events steht hier das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund – es geht um die Frauen, die sich die Strecke und die Erfahrung teilen (und die Snacks!). Ein offenes, freundliches Abenteuer nach dem Prinzip ‘Learning by Doing’.“
Dabei geht es vor allem darum, Druck rauszunehmen und einen Raum zu schaffen, in dem Erfahrungen möglich sind – und das ohne Bewertung. Die Red Bull Rampage war 2024 ein starkes Beispiel dafür, wie Frauen im Radsport sehr schnell bewertet und vor allem herabgesetzt werden. Eine Wertung ist am Ende im Wettkampf natürlich immer das Mittel um Sieger:innen zu küren, aber eben auf Basis objektiver Kriterien. Besonders spannend an der komoot-Initiative ist sicherlich, dass Diversität im Ganzen im Zentrum der Beschäftigung steht und dass die Eventserie seit 2021 regelmäßig stattfindet und auch ausgebaut wird.

Fotos: Liv Cycling

Liv
GBI Ladies Transalp
Liv verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Mit der Ladies Transalp wird auf der einen Seite ein Spendenzweck verfolgt, andererseits Frauen der Zugang zu großen sportlichen und persönlichen Leistungen einfacher gemacht. Das sehr große Erlebnis Alpenüberquerung wird zugänglicher und durch die mediale Begleitung ändert sich das Narrativ. Es geht nicht ums Gewinnen, nicht um Blut, Schweiß und Tränen, sondern um Gemeinschaft, Empowerment, Willensstärke und auch die Offenheit an sich zu Zweifeln und vielleicht zu Scheitern.
IRIS
I Ride In Style
Die niederländische Marke IRIS (I Ride In Style) steht für mutiges Design und gelebte Inklusion. Gegründet von Ex-Profi Iris Slappendel, bricht sie mit der stereotypen, leistungsfokussierten Ästhetik der Branche und setzt stattdessen auf Farben, Kreativität und Persönlichkeit. Ihre Kollektionen sind für alle gemacht – unabhängig von sportlicher Erfahrung, Körperform oder Alter.
Besonders bemerkenswert ist, dass IRIS in ihren Kampagnen eine vielfältige Community zeigt, darunter eben auch ältere Frauen, die nicht nur in der Radbranche quasi unsichtbar sind. So wird das Narrativ des Radfahrens als exklusiver, leistungsgetriebener Raum bewusst aufgebrochen und stattdessen ein Bild gezeichnet, das Radfahren als Ausdruck von Individualität, Freude und Zugehörigkeit feiert.
Foto: IRIS.cc

Ausblick
Das war jetzt Finger Pointing – und zwar im positiven Sinne. Aus unserer Sicht ist es wichtig, die Communities aktiv weiterzuentwickeln und hier für offene Werte einzustehen. Das stärkt nicht nur die Kultur innerhalb der Branche, des Sports und des Lifestyles, sondern wirkt sich auch positiv auf ihre Attraktivität und wirtschaftliche Entwicklung aus. Genau diese Haltung – eine bewusste Verbindung aus Community-Fokus und strategischem Weitblick – sollten wir wieder stärker in den Mittelpunkt rücken.
Norman Bielig leitet desire lines und denkt seit Jahren über bessere Narrative im Radsport nach. Vielfalt ist für ihn kein Trend, sondern eine Notwendigkeit – und eine Chance, die Branche nachhaltiger und zugänglicher zu gestalten.

